Grußwort BASC zur Konferenz ‚Prozesse politisch führen‘ in Stuttgart

Am 16. und 17. März 2024 fand in Stuttgart eine Konferenz zum Thema ‚Repression & politische Prozessführung‘ statt. Auch wenn wir nicht persönlich vor Ort sein konnten, hatten wir die Möglichkeit in einem Grußwort ein paar Gedanken zum Thema beizutragen. Solidarische Grüße und auf einen progressiven Austausch!

Unter folgendem Link eine Broschüre der Roten Hilfe zur politischen Prozessführung:

https://rote-hilfe.de/sites/default/files/2024-03/broschuere_prozesse_politisch_fuehren_web.pdf

Liebe FreundInnen, GenossInnen, GefährtInnen, liebe KomplizInnen

Wir freuen uns, heute dieses Grußwort an euch richten zu können. Aufgrund unserer aktuellen Situation, sowohl der Bewegung als auch der Kämpfe, die wir explizit gerade führen müssen, finden wir es bedauernswert, dass wir heute nicht selbst vor Ort sein können. 

Gerade, da wir denken, dass es in der Zukunft umso wichtiger sein wird, die Idee der politischen Prozessführung wieder stärker in den Fokus zu rücken. 

Doch wollen wir erst einmal zurückblicken. Der Februar des letzten Jahres war für viele von uns ein Wendepunkt. Sei es, weil sie GenossInnen von uns inhaftierten oder unsere GefährtInnen seitdem jagen. Sei es, weil sie unsere FreundInnen und deren Familien unablässig mit Repression überziehen, ihre Wohnungen durchsuchen, sie auf der Arbeit oder vor ihren Häusern belästigen und ihnen den Weg zum Verrat anbieten. Die Gründe dafür liegen auf der Hand. Es ist der Versuch, uns und unser Umfeld einzuschüchtern. Uns zu vermitteln, dass unsere Politik nicht richtig wäre, unsere Mittel die falschen. Doch können, dürfen und vor allem wollen wir uns das nicht einreden lassen. Wissen wir doch selbst am besten, was die Mittel sind, unseren Kampf zu führen, unabhängig davon, wie ein Staat, der nicht der unsere ist, das findet und verurteilen möchte. 

Blicken wir nach Budapest, so sitzen dort seit nunmehr über einem Jahr zwei GefährtInnen unter schlimmsten Bedingungen in Untersuchungshaft. Ihnen werden die notwendigsten Dinge, wie saubere Kleidung, Hygieneprodukte und ordentliches Essen, verwehrt. Ihnen wird der Kontakt zur Außenwelt so schwer wie möglich gemacht, sie erleiden Kälte und Hitze sowie die tägliche Willkür des Anstaltspersonals. All das, mit dem Ausblick auf fast ein Vierteljahrhundert Strafe. Dies sind Bedingungen, dies ist eine Situation, die für die meisten von uns zum Glück unvorstellbar ist. Die wir niemandem wünschen, Bedingungen, die kein Leben ermöglichen und darauf abzielen, genau dieses langsam zu zerstören, uns einzuschüchtern, uns mürbe zu machen. Letztlich, uns, aber an erster Stelle, die inhaftierten GenossInnen zu brechen. Wir müssen uns dieser Situation noch mehr bewusst werden, wenn wir wirklich solidarisch mit den Inhaftierten auf der einen Seite sein wollen, als auch, wenn wir für uns und unsere GefährtInnen eine Perspektive schaffen wollen. Eine Perspektive, die den Weg durch diese Hölle etwas erträglicher gestaltet, die auffängt und die Hand reicht, die verdeutlicht, dass, auch wenn das Gefühl der Einsamkeit erdrückend sein kann, niemand allein gelassen wird. Uns ist es wichtig, dass dies nicht leere Phrasen bleiben, die wir aufsagen, um uns selbst zu beruhigen, sondern, dass dies eine Aufforderung an uns und unsere Umfelder ist, diese Solidarität zu leben und dadurch eine Perspektive für die Zukunft zu schaffen, für alle die inhaftiert sind, jene, denen Knast droht und für GenossInnen, die ihrer Arbeit draußen (noch) nachgehen können. Auch ihnen soll eine Perspektive gegeben werden, soll die Angst vor dem Alleinsein genommen werden, soll eine Hand gereicht werden, die unterstützt, wenn sie gebraucht wird.

Abseits von den bereits Inhaftierten wird es in Zukunft umso wichtiger, uns mit der Situation im sogenannten Untergrund auseinanderzusetzen. Den GenossInnen, die diesen Weg wählen mussten, wünschen wir viel Kraft und nicht zuletzt das letzte Quäntchen Glück, das auch dazu gehört und vor allem keine übereifrigen Podcaster. Warum den Weg wählen mussten? Weil sie in diesem speziellen Fall dahingetrieben wurden. Das Narrativ, das ihnen gegenübersteht, war schnell gesetzt, ohne es nur aussprechen zu müssen. ExpertInnen und MitarbeiterInnen verschiedener Sicherheitsbehörden schwadronierten über Radikalisierung im Untergrund und die Boulevard-Medien druckten mit freundlicher Unterstützung rechter Social Media Outputs auch jede noch zu dumme Schlagzeile. Zwischenzeitlich erinnerte das eher an eine Bravo-Foto-Story als an „investigativen Journalismus“ oder Berichterstattung. Das Bild, das dadurch in der Öffentlichkeit erzeugt wurde, garniert mit einer aberwitzigen bundesweiten Fahndung inklusive Kopfgeld, lässt sich nicht mehr abändern. Vor allem lassen sich die Bilder unserer Gefährtlnnen nicht mehr aus dem Netz und kollektiven Ermittlungseifer deutscher Gutbürgerlichkeit entfernen. Auch das ist Teil einer Strategie, die uns einzuschüchtern versucht. Denn wenn der Staat selbst am Ende seiner Möglichkeiten ist, so finden sich – ob gesucht oder angebiedert – Gehilfen, die ihm zur Seite stehen. In diesem Fall die BILD-Zeitung, die eine bundesweite Öffentlichkeitsfahndung startet. Nach Menschen, denen bisher keinerlei Straftat nachgewiesen ist, gegen die teilweise noch nicht einmal konkrete Vorwürfe vorliegen. Ihr Name und Bild sind nun öffentlich für alle einsehbar. Dies soll ebenso einschüchtern wie abschrecken, soll anregen zu Denunziantentum und Verrat. Auch dem wollen und dürfen wir uns nicht hingeben oder es unwidersprochen stehen lassen. Der Aufschlag des AK Untergrund soll an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben. Wir finden die Idee dieses Arbeitskreises gut und unterstützenswert und erhoffen uns dadurch neue Perspektiven für die politische Arbeit in der Zukunft und neue Ideen für Solidarität mit den Menschen, die diesen Weg bestreiten, ob freiwillig oder unfreiwillig. 

Auch wollen wir noch den Umstand ansprechen, dass vor allem die Einschüchterung der Familien und direkten Umfelder von politischen Verfolgten in den Fokus geraten. Die Menge an Hausdurchsuchungen, die in den letzten Jahren im Zusammenhang mit dem Antifa-Ost-Verfahren sowie dem Geschehen in Budapest zusammengekommen ist, ist bemerkenswert. Allein seit Februar letzten Jahres sprechen wir von einer zweistelligen Zahl von Durchsuchungen bei Familien, FreundInnen und nicht zuletzt den Betroffenen selbst. Die Vorwürfe dafür sind an den Haaren herbeigezogen bis konstruiert und oftmals reicht eine frühere Bekanntschaft für die Genehmigung einer TKÜ. Auf den Schäden, monetär, aber viel wichtiger der psychischen Belastung eines solchen Übergriffs, bleiben die Betroffenen selbst sitzen. Müssen sich diesen stellen. Die Möglichkeiten, unrechtmäßiges Verhalten während einer Durchsuchung oder gar die Durchsuchung selbst anzufechten, sind bekanntermaßen „überschaubar“. 

Abseits davon ist im speziellen Fall des Budapest-Komplexes zu beobachten, dass vermehrt Mitarbeitende der Sicherheitsbehörden auf Familienangehörige zugehen, um diese zum Verrat zu bewegen oder Druck auszuüben, dass ihre Kinder oder FreundInnen dies tun. Ihnen werden leere Versprechungen gemacht und oder Druck aufgebaut, mit den ErmittlerInnen ins Gespräch zu kommen. Auch hier gilt es, sich solidarisch zu zeigen mit den Angehörigen und ihre Situation zu sehen und ernst zu nehmen. Sie in die Soli-Arbeit einzubeziehen und ihnen zu verdeutlichen, dass das Interesse an einer echten Unterstützung, abseits der staatlichen Logik von Schuld und Unschuld, auf unserer Seite ist. Dass wir ernsthaft an der Situation der Inhaftierten und Verfolgten interessiert sind. Dass wir auch sie unterstützen werden, wenn sie dies brauchen. 

Zuletzt, an die KomplizInnen. Die, die es bereits sind, die, die es noch werden. Die, die ihr bei dieser Konferenz seid und ein Interesse daran habt, nicht aufzugeben, den schweren Weg zu gehen und vor allem diesen Staat und seine Institutionen herauszufordern. Wir möchten uns mit euch gemein machen, eure Kämpfe zu den unseren machen, die Solidarität, die wir uns wünschen, mit euch zu leben. Wir verbleiben mit etwas Wehmut und in großer Erwartung auf die Resultate dieses Zusammenkommens und freuen uns auf Gespräche, Austausch und Debatten im Anschluss.

Wir senden solidarische Grüße

An euch, die Inhaftierten, die Verfolgten, die Angehörigen und vor allem all unsere KomplizInnen

FreeAllAntifas

BASC