Dieser Text erschien zuerst auf indymedia. Wir spiegeln ihn hier aufgrund des direkten Bezuges.
Am 15. März 2023, dem internationalen Tag gegen Polizeigewalt, fanden in Thüringen und Sachsen bereits früh morgens Hausdurchsuchungen durch die Polizei statt. Gegen 16:20 Uhr erschien das Spezialeinsatzkommando (SEK) auch in unserem Haus in der Eichendorffstraße im Leipziger Stadteil Connewitz.
Am 15. März 2023, dem internationalen Tag gegen Polizeigewalt, fanden in Thüringen und Sachsen bereits früh morgens Hausdurchsuchungen durch die Polizei statt. Gegen 16:20 Uhr erschien das Spezialeinsatzkommando (SEK) auch in unserem Haus in der Eichendorffstraße im Leipziger Stadteil Connewitz.
Wir sind fassungslos, schockiert und erschrocken und möchten zunächst darstellen, welche Ereignisse sich abspielten:
Vermummte Polizei schleicht sich um 16:20 Uhr in den Hof, es sind laute Knallgeräusche aus dem Treppenhaus zu hören. Kurz darauf stürmt das SEK eine bewohnte Wohnung, in der sich zu diesem Zeitpunkt aber niemand aufhält.
Bewohner*innen, die durch den Knall aufgeschreckt sind und ins Treppenhaus gehen wollen, werden zurück in die Wohnungen geschickt. Eine Auskunft, was hier gerade geschieht, erhält erstmal niemand. Kurz vor 17:00 Uhr wird eine zweite Wohnung in unserem Haus vom SEK gestürmt. Darin halten sich zwei Bewohner auf, was die Polizei auch weiß. Denn 40 Minuten zuvor wird ein Bewohner zurück in die Wohnung geschickt, als er im Hausflur nachsehen will, woher die Explosionsgeräusche stammen.
Dennoch schießt das SEK mit einer Art Spezialmunition die Türe auf, angekündigt mit den Worten: „Polizei! Weg von der Türe! Ich schieße!“ – es folgen sechs bis acht Schüsse. Der erste Bewohner wird zu Fall gebracht, während sich der andere Bewohner vorsorglich auf den Boden legt, um Verletzungen zu vermeiden. SEK-Beamte kommen mit Schild und Maschinengewehr in die Wohnung, wobei sie Atemschutzmasken tragen. Beide Bewohner werden in ihren Zimmern mit Kabelbindern gefesselt und auf dem Boden liegen gelassen. Nach etwa 45 Minuten erscheint eine LKA-Beamtin, lässt die Handfesseln lösen und eröffnet, dass die Durchsuchungsmaßnahmen darauf abzielen, eine gesuchte Person aufzufinden. Es gäbe Hinweise, dass diese sich in dieser Wohnung aufhielte. Wer die gesuchte Person sei, wird bis heute geheim gehalten.
Während dieses brutalen Polizeieinsatzes wird weiteren eintreffenden Bewohner*innen der Zugang zu ihren Wohnungen verwehrt. Einem von ihnen wird mitgeteilt, er dürfe in seine Wohnung, aber nur unter der Bedingung, der Polizei Zugang zur Wohnung zu gewähren, damit diese dort nach jemandem suchen kann. Der Bewohner gewährt der Polizei keinen Eintritt in seine Wohnung.
Gegen 18:20 Uhr versuchen die Polizeikräfte, die mittlerweile seit zwei Stunden im Haus präsent sind, Eintritt in die noch nicht aufgeschossenen Wohnungen zu bekommen. Hierbei geben sie vor, nach Fahrrädern zu suchen. Der Zutritt wird ebenfalls verweigert.
Um 20:45 Uhr bricht die Polizei mit einem Rammbock oder Brecheisen eine leerstehende, unbewohnte Wohnung im Haus auf. Auch dort wird weder eine Person angetroffen, noch ein Fahrrad gefunden. Zwischenzeitlich wird noch eine vierte Wohnung betreten und durchsucht, der genaue Zeitpunkt kann nicht mehr rekonstruiert werden.
Gegen 21:00 Uhr wird unter Angabe, es läge ein Beschluss zur Durchsuchung nach einer Person vor, die Wohnungstür einer fünften Wohnung geöffnet. Unter dem Eindruck der vorangegangenen Ereignisse lassen die anwesenden Personen sowie ein Haustier das Prozedere über sich ergehen – immerhin ohne wie zuvor gefesselt zu werden.
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass in unserem Haus insgesamt fünf Wohnungen von der Polizei betreten und durchsucht wurden. Sie hat versucht in jede Wohnung reinzukommen. Es wurde anscheinend weder etwas mitgenommen, noch hinterblieb der Eindruck, dass überhaupt nach Gegenständen gesucht wurde. Insofern scheint die Polizei tatsächlich nur nach einer oder mehreren Personen gesucht zu haben. Bei dieser Suche wurden Sitzmöbel umgeworfen, Matratzen aus den Betten gehoben und in einer Wohnung wurde im Zwischenboden hinter Kartons nach einer Person gesucht, welche nach Aussage der Beamten „genug Zeit gehabt hat, sich dort zu verstecken“.
Das Fazit ist: Es wurde niemand gefunden. Ominös bleibt, welche vermeintlichen Hinweise über eine gesuchte Person zu diesem Polizeieinsatz führten und warum wir mit einer derartig brutalen polizeilichen Maßnahme konfrontiert wurden. Der 15.03. reiht sich ein in mittlerweile zahllose Hausdurchsuchungen in Leipzig.
Wir bleiben ahnungslos und erhalten von der Polizei bislang auch keine Information. Uns wird nur gesagt, wir seien Drittbetroffene, uns selbst sei nichts vorzuwerfen, es gäbe aber eben diesen nicht näher bezeichneten Hinweis zum Aufenthaltsort einer gesuchten Person oder mehrerer gesuchten Personen. Auf eine außergewöhnliche Beobachtung ist noch hinzuweisen: Die Polizei interessierte sich für besondere Merkmale an Fingern und Händen. Welche, verriet sie nicht.
Einer Rechtsanwältin, der während des Polizeieinsatzes erst nach mehrmaligem Insistieren der Zugang zu ihrem Mandanten im Haus gewährt wurde, ist ein Aktenzeichen mitgeteilt worden. Dieses deckt sich mit dem Aktenzeichen eines polizeilichen Ermittlungsverfahrens gegen Antifaschist*innen, die im Februar 2023 in Budapest Neonazis angegriffen haben sollen.
Was zurück bleibt sind kaputte Türen, zutiefst verstörte Bewohner*innen, umgeworfene Möbelstücke, kaputte Türen, Ungewissheit über den Anlass dieser Aktion und das ekelhafte Gefühl, dass vermummte und schwer bewaffnete Cops in unseren Wohnraum eingedrungen sind. Was sie dabei nicht geschafft haben, ist uns zu isolieren und zu spalten. Im Gegenteil – wir gehen mit einem gestärkten Gefühl der Verbundenheit hier heraus.
Vor unserem Haus haben sich sehr zügig solidarische Menschen zusammengefunden, später gab es an beiden Ende der Straße sogar zwei Solikundgebungen, eine an beiden Straßensperren. Wir danken den Leuten, die hier vor Ort gekommen sind und ihre Unterstützung angeboten und das Treiben der Polizei kritisch beobachtet haben. Die Polizei war bis kurz vor 22 Uhr im Haus.
Wir sind solidarisch mit allen, die am vergangen Mittwoch von staatlicher Repression und Kriminalisierung betroffen waren.
Wenn ihr von Hausdurchsuchungen erfahrt, zeigt euch solidarisch. Kommt zum Ort des Geschehens und zeigt den Betroffenen, dass sie nicht alleine sind. Denn genau das – ein Gefühl der Vereinzelung und Isolation – wollen die Repressionsbehörden mit ihren Maßnahmen erreichen.
Diesmal hat es unser Haus getroffen, doch wir sind alle damit gemeint!
Wenn ihr selbst von einer Hausdurchsuchung betroffen seid, geht in die offene Sprechstunde der Roten Hilfe (https://antirepression.noblogs.org/rotehilfe/).
Auch wenn andere Hausdurchsuchungen vermeintlich glimpflicher ablaufen als bei uns, sind diese immer ein massiver Eingriff in unsere engsten und privatesten Rückzugsräume. Nehmt die Vorfälle also nicht auf die „leichte Schulter“, sondern unterstützt euch gegenseitig: Fragt einander, was ihr braucht und sprecht in einem vertrauten Rahmen über das Erlebte.
Und wie immer gilt: Spekuliert nicht über vermeintliche Gründe von Hausdurchsuchungen. Jede noch so kleine Informationen kann in den falschen Ohren oder Händen großen Schaden anrichten und nutzt im Zweifel nur den Repressionsorganen – Anna und Arthur halten‘s Maul!
gezeichnet:
einige Bewohner*innen des durchsuchten Hauses in der Eichendorffstraße im Leipziger Stadtteil Connewitz