Liebe Freund:innen, Gefährt:innen, Genoss:innen, liebe Familie und Unterstützer:innen,
ich habe mich entschieden an euch zu schreiben und an alle die sich für ein Wort von mir interessieren. Heute ist der 30. 12. 2024. Heute hätte, so dachte ich, nach einem halben Jahr eine Haftprüfung für mich stattfinden sollen. Bei dieser sollten die Staatsanwaltschaft, mein Anwalt und ich vor einem ungarischen Gericht aufeinander treffen, um darüber zu streiten, ob es (nach wie vor) notwendig ist, dass ich mich in Untersuchungshaft befinde. Bald 13 Monate ist es her, dass ich in Berlin verhaftet wurde und wohl wenige Tage nach meinem ersten „Jahrestag“ in Haft muss die ungarische Staatsanwaltschaft ihre Anklageschrift gegen mich an das zuständige Gericht geschickt haben, ohne es für nötig zu halten mich davon in Kenntnis zu setzten. Darin beschreibt sie die Vorwürfe, führt ihre „Beweise“ auf und entwirft, grob gesagt, ein spezifisches Bild von mir und den Mitangeklagten. Dieses Bild beschreibt uns als eine Gruppe von brutalen Schläger:innen, getrieben vom Hass, die wahllos Menschen verfolgend durch die Straßen ziehen würde. So unterstellt die Staatsanwaltschaft mir, dass ich eine Gefahr für die Gesellschaft sei und kommt zu dem Schluss 14 Jahre Haft im strengsten Vollzug, ohne die Möglichkeit auf Bewährung für mich zu fordern. Vorausgesetzt ich würde mich vollumfänglich als schuldig bekennen. Daran anknüpfend fordert sie, dass ich weiterhin in Untersuchungshaft bleiben soll, mindestens bis zum ersten Urteil. Für dieses hat das zuständige Gericht nun gemütliche 3 Jahre Zeit und ist keineswegs zur Eile verpflichtet. Vor wenigen Tagen bekam mein Anwalt diese Anklageschrift zugesendet, zusammen mit dem Beschluss eines Gerichts, das in unserer Abwesenheit entschieden hat mich auf unbestimmte Zeit zu inhaftieren. Die eigentliche Haftprüfung fiel somit aus und uns bleibt nur die Möglichkeit des schriftlichen Widerspruchs bei der nächsten Instanz.
Ich sitze da, kann nur mit dem Kopf schütteln, entgeistert blicken, lachen und wütend werden, während das Gefühl von Machtlosigkeit und Beklommenheit beginnt mir den Boden unter den Füßen wegzureißen. Es sind nicht die absurden, realitätsverkennenden Vorwürfe welche die Staatsanwaltschaft formuliert oder ihre zerstörerischen Forderungen. Es ist viel mehr die Art und Weise wie sie sich das Recht nehmen mir Lebenszeit zu stehlen. Absurderweise tröstet mich der Gedanke, dass das zu erwarten war. Dass sich Ungarn zwar mit dem großen Wort „Rechtsstaat“ bekleidet, es jedoch nun mal nur ein Label ist, eines von vielen. Rechte haben hier nicht viele, zumindest haben nicht alle die selben. Die Macht hat der Staat und das Recht hat seinen Akteur:innen mehr zu dienen, als der „Gerechtigkeit“. Dieser völlig „legale“ Schachzug der Staatsanwaltschaft zeigt mir, dass sie es nicht riskieren wollten, dass eine Richter:in ein Wort von mir hört. Zu groß wäre die Gefahr, dass die Einzelhaft, ausgestaltet unterhalb der Menschenwürde, ein Ende nehmen könnte.
Nun wo es mir vorerst verwehrt wird vor Gericht zu sprechen, habe ich mich dazu entschieden, es hier zu tun, ein längst überfälliger Schritt. Dafür, dass es mir so selten als möglich erschien, möchte ich mich entschuldigen, haben doch bereits so viele Menschen in den letzten zwei Jahren die Notwendigkeit gesehen und mutig ihr Wort erhoben, gesprochen, geschrieben, geplant und organisiert, demonstriert, gespendet und zitternde Hände gewärmt, einander gehalten. Auf so vielen unterschiedlichen Wegen hat mich in den letzten Jahren eure Solidarität erreicht und bereichert mit Kraft, Mut und Zuversicht. Es scheint mir mal wieder, als hätte ich viel zu selten den Dank, den ich dafür verspüre in Worte gefasst. Dank euch bleiben die Utopien farbenfroh, gehalten in zärtlichen Händen deren Wille nicht bricht. Ich möchte euch wissen lassen, es wirkt, jedes Wort, jeder Gedanke, jeder politische Kampf von dem ich höre und der sich traut nicht zu verstummen, sich immer neu aufbäumt statt zu versanden im Wohlstandsmeer.
Ihr und eure Gefährt*innen habt meine Solidarität, meine Gedanken verweilen bei euch und bei all den politischen Gefangenen die weltweit für eine emanzipatorische Gesellschaft eintreten. Ich teile in Gedanken euren Schmerz, die Wut über die Staaten und ihre Gewalt, genauso wie die Hoffnung in einer Gesellschaft zu leben, die es nach wie vor wagt sich zum Besseren zu wandeln, die sich abkehrt von Krieg, Gewalt, Unterdrückung und Ausbeutung. Ich habe Achtung vor jedem einzelnen Menschen, der es wagt sich gegen Patriarchat, autoritäre Gelüste, Gehabe von Volksgemeinschaften und entfesselter Bereicherung zu wehren, ob im Großen oder Kleinen.
Auch wenn Ungarn mich weiterhin gefangen hält, im bloßen Willen mich vorzuverurteilen, zu bestrafen und abzuschrecken, während die Bundesregierung schüchtern nickend Orban die Hände hält, auch wenn die Isolation meinen Kopf zermürbt, die fehlende Sonne mich erblassen lässt und die Sehnsucht nach einem Vertrauten Gespräch und einer einzigen Umarmung mich Nachts aus dem Schlaf reißt – ich bleibe da, ich bleibe an eurer Seite. Lasst es uns immer wieder wagen nicht zu Verstummen, auch wenn die Monate und Jahre manchmal drohen alle Hoffnung und das Vertrauen auf die eigenen Kräfte zu zersetzen. Verzagen können wir nicht, es wäre fatal. Zu vieles steht auf dem Spiel, so vieles ist bereits wieder ins Rutschen geraten, was einst erkämpft und erlernt wurde. Wenn mein kurzes Wort euch ermutigt hat, vielleicht mit einem vertrauten Lächeln, einem bestärkenden, sorgsamen Blick den ihr jemandem schenkt, dann bleibt mir nur euch Danke zu sagen fürs lesen und hören. A presto mi faro vivo!
In solidarischen Gedanken, Maja