18.03.2025
Liebe Genoss*innen, liebe Freund*innen und Weggefährt*innen, die ihr heute überall auf die Straße
geht und Veranstaltungen organisiert,
auch wir wollen uns gerne mit einem Redebeitrag melden.
Das Budapest Antifascist Solidarity Comitee (BASC) hat sich im Sommer 2023 gegründet, um die im
Budapest-Komplex beschuldigten Antifaschist*innen solidarisch zu unterstützen. Seitdem ist viel
passiert – wir wollen den Tag zum Anlass nehmen, die Geschehnisse aus unserer Perspektive,
insbesondere in Hinblick auf Haft als politische Repression, einzuordnen und all denen, die bisher
nicht mit dem Komplex vertraut sind, einen knappen Einblick zu bieten.
Zum Verfahren
Im Februar 2023 kam es beim sogenannten „Tag der Ehre“, einem international prominenten
Neonazievent im Budapest, zu Angrien auf Faschisten. Diese Angrie werden Antifaschist*innen
aus verschiedenen europäischen Ländern zur Last gelegt – gegen sie wird sowohl von ungarischen,
als auch von deutschen Behörden wegen Unterstützung und Mitgliedschaft einer kriminellen
Vereinigung ermittelt. Die Repressionsbehörden, allen voran die sächsische Soko-Linx, scheuten
sich im Zuge dieser Ermittlungen vor keiner noch so widerlichen Überwachungs- und
Strukturermittlung: Fast zwei Jahre lang haben ebendiese Behörden die Beschuldigten selbst, ihre
Angehörigen und Umfelder drangsaliert, ausspioniert und versucht sie in die Enge zu treiben. Mit
medialen und behördlichen Öentlichkeitsfahndungen, über zwanzig Hausdurchsuchungen und
SEK-Einsätzen, Observationen und Anquatschversuchen des Verfassungschutzes wurde die
gesamte Bandbreite polizeilicher und justizieller Maßnahmen ausgeschöpft, welche seit Jahren
gegen linke Bewegungen angewandt werden.
Am 20. Januar 2025 haben sich jüngst einige der bisher nicht aundbaren Beschuldigten aus dem
Budapest-Komplex den Strafverfolgungsbehörden gestellt. Sie sitzen seitdem in unterschiedlichen
deutschen Knästen in Untersuchungshaft, während andere diesen Schritt nicht gegangen sind.
Wiederum andere beschuldigte werden in Frankreich oder Italien festgehalten und müssen auf eine
gerichtliche Entscheidung um ihre Auslieferung nach Ungarn warten. Die dort zu erwarteten
Haftbedingungen wurden schon häufig von uns thematisiert und müssen fortlaufend öentlich
kritisiert werden – neben einer politisch motivierten, durch einen rechtsautoritären Staatsapparat
gelenkten Justiz erwarten unsere Genoss*innen im Falle einer Auslieferung desaströse
Haftumstände. Die Berichte von Ilaria und Maja, einer nonbinären Genoss*in, zeigen, wie
erniedrigend und menschenunwürdig die Bedingungen sind, unter denen Gefangene in Ungarn
inhaftiert werden. Während die Blitz-Auslieferung von Maja an die ungarischen Behörden einen
beispiellosen Justizskandal an sich darstellt, wurde die von der SokoLinx koordinierte Nacht-und-
Nebel-Aktion mittlerweile vom Bundesverfassungsgericht als rechtswidrig eingestuft. Einmal mehr
haben die Behörden damit klar gemacht, dass es ihnen nicht um rechtsstaatliche Verfolgung von
Straftaten geht, sondern vielmehr um einen kompromisslosen Kampf gegen emanzipatorische
Bewegungen.
Während also einige der beschuldigten Genoss*innen international seit Jahren inhaftiert sind,
haben sich weitere sieben der Beschuldigten Anfang Januar selbst den deutschen Behörden
gestellt. Trotz dieses staatlichen Vorgehens ist die Entscheidung des Stellens weder als Schwäche
der Beschuldigten noch als Kapitulation vor den Ermittlungsbehörden zu verstehen. Vielmehr als
ein selbstbestimmter Schritt in ein neues Kapitel dieses Verfahrens. Genauso wie das Untertauchen,
kann auch die Entscheidung in den Knast zu gehen eine politische sein – nicht freien Herzens, wohl
aber selbst gewählt.
Denn auch der Knast ist in der Geschichte der linken Bewegung schon immer ein Ort der
Auseinandersetzung, der politischen und sozialen Kämpfe. Wir stehen nun als BASC vor der
Situation, dass zwölf der im Verfahrenskomplex beschuldigten Antifaschist*innen in Knästen
eingesperrt sind. Zusammen mit anderen inhaftierten Genoss*innen sitzen in deutschen Knästen
damit so viele politische Gefangene wie schon lange nicht mehr. Die beispiellose Ermittlungswut der
Repressionsbehörden kennt auch außerhalb des Budapest-Komplex scheinbar keine Grenzen und
stellt dabei einen politischen Angri auf uns als antifaschistische Bewegung dar, wie wir ihn lange
nicht mehr erlebt haben.
Knastkritik
Dabei lehnen wir Gefängnisse als Instrument der strukturellen Unterdrückung systematisch ab.
Menschen aufgrund ihrer politischen Einstellungen zu inhaftierten entbehrt jeder Grundlage – aber
auch ganz generell sind Knäste als Form der justiziellen Maßregelung moderner Gesellschaften nicht
hinnehmbar. Sie stellen einen immensen Eingri in die Freiheits- und Persönlichkeitsrechte der
Gefangenen dar und hindern sie durch die Trennung von „drinnen“ und „draußen“ von fast jeder Art
der gesellschaftlichen Teilhabe. Haft bedeutet für viele Gefangene, jahrelang aus ihren Leben
gerissen zu werden und dabei jeden Anschluss zu ihrem gewohnten Lebensumfeldern zu verlieren.
Die Trennung von Freund*innen und Familie, die soziale und politische Isolation, die Schikanen der
Justizbeamten – all das soll sie letztendlich brechen. Das Wegsperren macht sie für den Rest der
Gesellschaft unsichtbar. Während politische Gefangene häufig zumindest etwas Solidarität von
draußen erfahren, warten soziale Gefangene oft vergeblich auf Briefe, die nie ankommen. Auch sie
gilt es in unserer politischen Kritik am System Knast nicht zu vergessen – auch sie müssen wir in
unsere Kämpfe integrieren.
Zum Zusammenhang von Repression und Patriarchat
Ein paar Worte möchten wir außerdem dem Zusammenhang der aktuellen Repression und den
patriarchalen Verhältnissen widmen und ein paar Sätze spiegeln, die von uns zum feministischen
Kampftag veröentlicht wurden: Der Repression unterliegt eine patriarchale Dynamik, die
besonders im Fall von Maja deutlich wird. Nicht nur die Auslieferung der deutschen Behörden einer
Person mit nonbinärer Geschlechtsidentität an die rechtsautoritär-antifeministische Regierung
Ungarns ist skandalös. Auch die ungarische Presse und Justiz misgendert Maja fortlaufend, während
sie Majas geschlechtliche Identität verleugnet. Maja ist somit neben unmenschlichen
Haftbedingungen, Isolation und desolaten hygienischen Zuständen mit dem Umstand konfrontiert,
im Verständnis der ungarischen Behörden überhaupt nicht zu existieren und damit grundlegend
entrechtet zu werden. Um es mit Majas Worten zum Prozessauftakt zu sagen:
“So stehe ich nun hier,
bin in Fesseln gelegt und werde angeklagt in einem Land, für das ich als non-binärer Mensch, als
Maja, nicht existiere. Es ist ein Staat, der ganz oen Menschen wegen ihrer Sexualität oder ihrem. Geschlecht ausgrenzt und separiert, ich bin angeklagt von einem europäischen Staat, weil ich
Antifaschist*in bin“.
Doch nicht nur die ungarische Presse zeigt sich oen antifeministisch und queerfeindlich – auch die
deutsche Medienlandschaft spekuliert engagiert über Majas Identität. Auch die Privatleben der
anderen beschuldigten Frauen* werden öentlichkeitswirksam ausgeschlachtet, wobei über
Beziehungen spekuliert & deren Aussehen auf Fahndungsfotos bewertet wird. Diese Widerlichkeit ist
schwer zu ertragen und zeigt umso deutlicher, welche Rolle patriarchale Geschlechterverhältnisse
auch innerhalb der Repression gegen unsere Genoss*innen spielt.
Aber auch von der linken Szene werden unsere Genoss:innen aufgrund ihres Geschlechts und Alters
zum Teil nicht ernst genommen, obwohl ihnen doch eine politische Tat vorgeworfen wird. Zu oft
lassen wir als Antifaschist*innen uns von der bürgerlichen und sexistischen Berichterstattung
beeinflussen.
Nazis und Faschist:innen sind, was wohl für niemanden überraschend ist, von Grund auf
antifeministisch. Wir sagen deswegen deutlich: Jeder antifaschistische Kampf muss zugleich
feministisch sein, sonst ist er verkürzt und wirkungslos.
Zu der Situation unseres Genossen Zaid
Die letzten Zeilen unseres Beitrages möchten wir der Situation unseres Genossen Zaid widmen, der
seit Ende Januar in Köln inhaftiert ist. Er ist besonders akut bedroht von einer Auslieferung nach
Ungarn und der anschließenden Abschiebung nach Syrien, da er nur eine syrische
Staatsbürgerschaft besitzt! Zudem liegt gegen ihn, anders als bei den anderen Selbststeller*innen,
momentan nur ein europäischer Haftbefehl aus Ungarn vor, kein deutscher. Der Handlungsbedarf
ist dringend und wir bitten alle engagierten Antifaschist*innen, seine Situation
bewegungsübergreifend öentlich zu thematisieren. Die Zeit zu handeln ist jetzt! Auch Zaid drohen
in Ungarn hohe Haftstrafen, ein schlimmstenfalls jahrelanger Prozess und die Gefahr anschließend
nach Syrien abgeschoben zu werden. Wir fordern, dass Zaid hier bleiben kann und ein Verfahren in
Deutschland geführt wird!
Abschluss
Abschließende Worte wollen wir an alle Genoss*innen richten, die dieser Beitrag heute erreicht –
danke für euer Engagement und eure Standhaftigkeit in diesen herausfordernden Zeiten. Wir
wünschen euch viel Kraft für eure Kämpfe – auf dass sie durch unsere gelebte Solidarität unsere
Herzen immer wieder zum Brennen bringen.
Und zu guter Letzt noch einen hasserfüllten Gruß an die Lakaien der Schweinejustiz: Egal wie sehr
ihr versucht uns zu brechen – jeder Versuch dessen schweißt uns nur noch mehr zusammen. Jeder
Tag in Haft, jede Hausdurchsuchung, jede Observation bestätigt uns nur noch mehr in unserer
Haltung, immer wieder aufs neue für eine befreite Gesellschaft einzustehen!
Freiheit für Zaid, Paula, Luca, Nele, Paul, Johann, Tobi, Clara, Gino, Moritz, Maja, Hanna und alle
anderen inhaftierten Genoss*innen!
Bis alle Knäste in Schutt und Asche liegen!