Redebeitrag zur KO51-Demo in Jena: **Geschichte ernst nehmen – Naziterror stoppen**

Am 18.05. fand eine antifaschistische Demonstration in Jena statt, wo am OLG Thüringen seit August 23 vier Angeklagten der rechtsextremen Kampfsportgruppe aus Eisenach der Prozess gemacht wird. Als Antifaschistische Bewegung lässt sich im Kampf gegen Nazis nicht auf den Staat verlassen. Das zeigt uns auch dieser Prozess.

Liebe Antifaschist:innen,

nach der Selbstenttarnung des NSU im Jahr 2011 sah sich die antifaschistische Bewegung mit einigen Fragen konfrontiert: Wie konnte es sein, dass so viele Menschen ermordet wurden ohne, dass von antifaschistischer Seite eingeschritten wurde? Welche Konsequenzen können aus der offensichtlichen Komplizenschaft der Rechtsterroristen mit dem Verfassungsschutz und Teilen der Behörden gezogen werden? Was bedeutet autonomer Antifaschismus nach dem NSU?

Die Relevanz dieser Fragen wurde durch die rechten Terroranschläge in Kassel, Hanau und Halle noch einmal verdeutlicht. Angesichts der gestiegenen gesellschaftlichen Akzeptanz für rechte Ideologie, die sich nicht zuletzt in den Zustimmungswerten der AfD äußert, ist davon auszugehen, dass sich auch das Problem des Rechtsterrorismus in naher Zukunft nicht in Luft auflösen wird.

Einige Antifaschist:innen haben in den vergangenen Jahren versucht, praktische Antworten auf die genannten Fragen zu finden und Konsequenzen aus den Erkenntnissen rund um den NSU-Komplex zu ziehen. So gab es mehrere antifaschistische Interventionen in Eisenach, welche das Gewaltpotential der lokalen Neonazis zumindest für einige Zeit reduzierten. Die Auswirkungen der Interventionen sprechen dabei für sich: Neben der Bewältigung des psychischen, moralischen und materiellen Schadens konzentrierten sich die betroffenen Nazistrukturen über einen längeren Zeitraum hinweg darauf, sich selbst zu schützen. Entsprechend weniger Energie floss in die bis dato üblichen Angriffe auf Linke und andere Menschen, welche nicht in ihr Weltbild passten. Ihnen wurde klar gemacht: Ihr Handeln bleibt nicht konsequenzenlos.

Dennoch erholten sich die Nazistrukturen vergleichsweise schnell von den Rückschlägen und gingen bald wieder zu ihrer üblichen Praxis über: Die Propagierung des Nationalsozialismus, die gewalttätige Bekämpfung von politischen Gegnern sowie die eigene Militarisierung durch Schießtrainings, Waffenlager und ähnliches. Dabei stellten sie sich allerdings so dumm an, dass folglich auch die Behörden nicht mehr dazu in der Lage waren, die Gefahr der Entstehung rechtsterroristischer Strukturen in Eisenach zu ignorieren.

Die Bundesanwaltschaft brauchte außerdem Futter für ihre altbekannte Hufeisentheorie und ihre Märchen einer angeblichen Gewaltspirale von links und rechts. Denn mit dieser Argumentation sahen und sehen sich die verfolgten Antifaschist:innen konfrontiert, welche im Rahmen des Antifa Ost-Verfahrens für die Interventionen in Eisenach und anderen Städten verantwortlich gemacht werden. Die Bundesanwaltschaft behauptet, durch die antifaschistischen Aktionen von links würde die Gewaltbereitschaft der Nazis befördert und eine gegenseitige Eskalation in Gang gesetzt. Eine Falschdarstellung, die der Realität nicht ferner sein könnte. Als seien die Nazis erst durch linke Gegenwehr zu Gewalttätern und einer Gefahr für alle geworden, die nicht in ihr Weltbild passen.

Die Wirklichkeit sieht anders aus: Über Jahre hinweg drangsalierten Nazis in Eisenach, wie in vielen anderen ostdeutschen Städten, Linke, Migrant:innen, Homosexuelle, Obdachlose und andere, denen sie das Recht auf eine Existenz absprechen. Über Jahre hinweg propagierten sie einen Nazikiez in Eisenach und traten als Ordnungsmacht auf. Erst die antifaschistischen Interventionen in den vergangenen Jahren riefen schließlich die Behörden auf den Plan und zwangen diese, das Geschehen in Eisenach nicht länger zu ignorieren.

Aufgrund dessen sahen sich die Nazis von Knockout 51 mit Maßnahmen konfrontiert, welche auch für die Beschuldigten Antifaschist:innen in den diversen 129-Verfahren Normalität sind: Observationen, Kameras vor den Wohnungen, verwanzte Autos, abgehörte und überwachte Kommunikation. Weil die Nazis dumm genug waren, in ihren Autos und an ihren Handys offen über ihre Mordfantasien und die Vernichtung politischer Gegner zu sprechen, stellte die Bundesanwaltschaft aufgrund der offenbar vorhandenen Tötungsabsicht den Vorwurf einer terroristischen Vereinigung in den Raum.

Der Prozess um die aktuell angeklagten vier Mitglieder der Gruppe brachte vieles an die Öffentlichkeit, was interessierten Antifaschist:innen schon länger bekannt gewesen sein dürfte, jedoch von den Behörden und einer breiteren Öffentlichkeit lange ingoriert wurde: Zeltlager mit wehenden Hakenkreuzfahnen. Schießtrainings in Tschechien, bei deren Videos im Nachgang Antifa-Symbole auf die Schießscheiben projiziert wurden. Hakenkreuztattoos und Hitlergrüße, die von den Nazianwälten als lustige Witze dargestellt werden. Nur notdürftig abgeklebte Hakenkreuztattoos von anwesenden Nazis im Publikum. Provokant und gewalttätig auftretende Neonazis, die Präsenz zeigen, linke Prozessbeobachter:innen einzuschüchtern versuchen und Anwesende vor dem Gerichtssaal und im Beisein von Polizisten mit Sprüchen wie „Du und ich, wir fahren mal zusammen nach Buchenwald und nur ich komm wieder raus“ bedenken.

Im Fliedervolkshaus wurde eine Art Waffenlager gefunden. Leon Ringl stellte mit einem 3D-Drucker nicht nur automatische Schusswaffen für die Tötung politischer Gegner her, sondern war auch so intelligent, sich über das Internet die passende Munition zu bestellen. So sahen sich die Behörden gezwungen einzuschreiten. Wie der belustigten Kommunikation der Nazis zu entnehmen war, lief die Durchsuchung jedoch so ab, dass die Betroffenen noch in der Lage waren, kistenweise Beweismittel unter den Augen der Polizeibeamten aus dem Haus zu tragen und wegzubringen. Etwas, das man sich bei einer Razzia der Soko LinX wohl kaum vorstellen könnte.

International vernetzten sich die Nazis mit anderen neonazistischen und rechtsterroristischen Gruppen und tauschten sich über Strukturaufbau und strategische Fragen aus. Kontakte bestanden unter anderem zur Atomwaffendivision in den USA, die dort für zahlreiche politisch motivierte Morde verantwortlich ist, zur Gruppe „National Action“ in Großbritannien, zu ukrainischen und australischen Neonazis. Und auch bundesweit genossen die Eisenacher einen gewissen Stand – nicht zuletzt aufgrund der antifaschistischen Interventionen gegen sie.

Ein weiteres pikantes Detail, welches wir aus anderen Verfahren in ähnlicher Weise kennen, sind massenhaft durchgestochene Informationen von Eisenacher Polizisten an die Nazis von Knockout 51. Dabei handelte es sich nicht nur um Informationen die die Nazis selbst betreffen, sondern maßgeblich um Informationen über Antifaschist:innen, welche nun in rechten Szenekreisen kursieren und den Betroffenen einen Platz auf diversen Todeslisten einbringen dürften. Einer der 6 beschuldigten Polizisten aus Eisenach ist der selbst ernannte Staatsschützer Morgenweck, welcher auch gegen die Beschuldigten im Antifa Ost-Verfahren „ermittelt“ hat. Der Kreis schließt sich also. „Staat und Nazis Hand in Hand“ scheint in Teilen der Thüringer Provinz mehr als nur eine Demoparole zu sein.

Im Kampf gegen Nazis nicht auf den Staat zu vertrauen sollte kein ideologischer Glaubenssatz sein, sondern ist eine Konsequenz, die sich angesichts der zahlreichen rechtsterroristischen Netzwerke mit Verbindungen in die Sicherheitsbehörden nahezu aufdrängt. Wie das Motto der heutigen Demonstration sagt, ist es wichtig, dass wir als antifaschistische Bewegung Konsequenzen aus der älteren wie der jüngeren Geschichte ziehen, dass wir aus Fehlern lernen und nicht immer wieder bei null anfangen. Das bedeutet auch, in der Auseinandersetzung mit Nazis nicht auf den Staat zu vertrauen und selbst wirksame Gegenstrategien zu entwickeln.

Kein Vergeben, kein Vergessen.