Update I – Wie geht es den Gefangenen einen Monat nach der Selbststellung?


Der Tag der Selbststellung


Es ist offenkundig, dass wenn sich sieben verschiedene Personen mit offenen, teilst internationalen
Haftbefehlen in verschiedenen Polizeiwachen und Amtsgerichten der Bundesrepublik Deutschland
stellen, dass viele verschiedene Erfahrungen zu berichten sind. Allgemein lässt sich festhalten, dass
außerhalb der SoKo Linx – Büros wohl nicht so viel persönlicher Hass gegen junge Menschen auf
der Flucht von vorverurteilenden Behörden herrscht.
Auf Grund der Entscheidung sich selbstständig den Behörden gestellt zu haben, haben die meisten
Cops es mit Fesselungen der Verdächtigen nicht so genau genommen. Viele berichteten von
ruhigem, gar freundlichem Umgangston, teilweise waren Einzelne fast schon mit Gleichgültigkeit
konfrontiert. Dass die Justiz dennoch keinen Grund sah, Einzelne der jungen Menschen zurück zu
ihren Familien und Freund*innen zu lassen, war dennoch keine Überraschung.


Die ersten Tage „danach“ – Ankommen in Untersuchungshaft


Es dauerte einige Tage und langwierige, sich verzögernde Termine in Karlsruhe, bis alle der sieben
Gefangenen in den jeweils vorgesehenen Justizvollzugsanstalten eintrafen. Bei Manchen war es ein
direkter Transport vom BGH (Bundesgerichtshof) zur aktuellen Zelle, Andere wurden über Tage
immer wieder von Knast zu Knast gebracht, bis die vorgesehene JVA erreicht wurde.
Die Taschen der Gefangenen wurden großteils bis auf Weiteres beschlagnahmt. Manche durften
zeitweise ein eigenes Buch, eigene Bettwäsche und/oder eigene Kleidung entnehmen oder haben es
später ausgehändigt bekommen. Stellenweise wurde diese Freiheit auch wieder von einzelnen
Knästen und Beamten eingestanzt.
Zu Beginn verbrachten alle Gefangenen einige Tage in „Sitzwache“. Was laut Justiz eine
Sicherheitsmaßnahme zur Vermeidung von Suiziden darstellen soll, ist im realen Leben wohl eher
eine Provokation des inneren Wahnsinns: Die Zellen sind bis auf wenige Ausnahmen (vornehmlich
nicht in Sachsen) 24 Stunden videoüberwacht, als auch durchgehend hell beleuchtet. An erholsamen
Schlaf oder dem minimalem Gefühl von Privatsphäre ist dabei eher weniger zu denken. Auch an
dieser Stelle unterscheiden sich die jeweiligen Zeitspannen. Von einer Nacht bis teilst über eine
Woche saßen die Gefangenen in solchen Überwachungskammern. Nach Einzug in klassische
Zellen, ging es weiter an das Kennen-Lernen des Haftalltags:
Welche Anträge sind zu Beginn relevant? Welche Möglichkeiten der Beschäftigung gibt es? Wann
und wie kann mensch Ausbildungen beginnen? – Es ist wichtig anzumerken, dass die meisten JVAs
ihre eigenen Regeln, Abläufe und Entscheidungsstränge haben. Dies sorgt aber auch dafür, dass
manche der frisch inhaftierten Personen lange auf Einkaufsmöglichkeiten, eigene Kleidung und ähnliches, warten mussten und müssen. Die Zeit im Knast läuft sehr viel langsamer als draußen,
somit verlaufen viele der relevanten Vorgänge eher zäh und mühsam. Dennoch gibt es
Entwicklungen und Prozesse, die den Gefangenen etwas Halt und Zeitvertreib bieten. Manche
haben TV- und Radiogeräte auf ihren Zellen und konnten sich so die ersten Tage erträglicher
gestalten, Einzelne beginnen zeitnah sogar schon Ausbildungen in Haft. Auch die ersten
Briefwechsel und Besuche von Familienangehörigen konnten nach vielen Wochen Wartezeit
endlich statt finden und weitere Besuche können geplant werden. Dennoch sind die
Besuchsoptionen grundlegend auf maximal drei bis vier Besuche à 30 – 60 Minuten im Monat
begrenzt und die Dauer bis Besuchserlaubnisse in den Briefkästen der Angehörigen landen beträgt
ebenfalls einen mehrwöchigen Zeitraum.


Die schimmligen Flecke der Justizvollzugsanstalten


Es lässt sich nicht stets und einfach behaupten, welche der Hürden und Schikanen, mit denen sich
die Gefangenen konfrontiert sehen, zum allgemeinen Tagesgeschäft gehören oder ob beispielsweise
persönliche Abneigungen der Beamten, gegen vermeintliche „Zecken“ diese bedingen. Auf der
Hand liegt jedoch, dass ein In-sich-geschlossenes System wie Knast, stets eine Einfallstür darstellt
für Mobbing, Unterdrückung bis hin zu Gewalt und Mord an Menschen. Auch in deutschen Knästen
herrschen Missstände und klassische Unterdrückungsmechanismen der kapitalistischen,
patriarchalen, als auch postkolonialen, rassistischen Gesellschaft und können sich wider spiegeln im
Verhalten aller Beteiligten.
Eine Person der jüngst Inhaftierten im hiesigen Verfahren, hatte in den ersten zehn Tagen vier
Razzien in der Zelle. – Eine davon mit Hund. Mehrere Zellenverlegungen der Person, brachten diese
in die Situation jedes Mal, die zuvor scheinbar bewohnten, als auch vermüllten Zellen eigenständig
zu säubern. Darüber hinaus gab es Probleme bei der Essensversorgung. Gab es nicht schon
unzureichend Nahrung, wurde zu Beginn Fisch als „vegetarisches Gericht“ serviert. Diese Farce
mündete im Servieren von verschimmeltem Brot Ende Januar, während ein eigener Einkauf erst
nach drei Wochen Haftzeit, Mitte Februar erst möglich war.
Für eine andere Gefangene ist es nicht möglich unbewacht mit ihrer Anwältin zu telefonieren. Die
JVA in der sie sitzt, macht dies bis heute für keine der Insassen adäquat möglich.
Allgemein gibt es für alle Inhaftierten ein Haftstatut mit auferlegten Beschneidungen in der
Informationsmöglichkeit. Beispielsweise werden jegliche Zeitungsartikel als Anhang an Briefen
nicht durchgestellt. Dies führt uns zur generellen Postkontrolle: Vor allem diese sorgt in der Praxis
für massive Verzögerungen der Briefzustellungen, bis hin zur Nicht-Zustellung von Post
Angehöriger und solidarischer Menschen. Über die Überwachung der Inhalte hinaus, bildet dies
eine eingängige Möglichkeit das Isolierungsgefühl der Eingesperrten stark zu erhöhen und den Austausch zwischen „drinnen“ und „draußen“ nicht nur zu verlangsamen, sondern stark zu
behindern. Und obwohl die Vorgänge bei Briefen vor allem über die Bundesanwaltschaft (GBA),
als auch den BGH laufen, gibt es auch da große zeitliche Unterschiede. Häufig dauert es bis zu drei
Wochen bis Briefe ankommen.
Ebenso verschieden sind die Kontaktmöglichkeiten mit anderen Gefangenen. Teilweise entstehen
auch sehr widersprüchliche Situationen: Eine Person darf zwar Umschluss mit anderen Insass:innen
haben, darf aber nur alleine auf den Freihof gehen. Fast alle der Gefangenen im Budapest-Komplex
waren anfangs isoliert von anderen Gefangenen und durften manche Tage ebenfalls nur alleine auf
den Hof.
Alle Besuche von allen Gefangenen i Budapest-Komplex werden von verschiedenen Staatsschutz-
oder Landeskriminalbeamten begleitet, bewacht und dokumentiert.


Besondere Umstände und besondere Gefährdung


Eine weitere beschuldigte Person im Budapest-Komplex wurde Anfang November von der Polizei
festgenommen und inhaftiert, weil auch gegen ihn ein deutscher und ungarischer Haftbefehl
vorliegt. Die Vorführung in Karlsruhe erfolgte standardmäßig in Hand- und Fußfesseln. Zusätzlich
wurden dem Beschuldigten während des Transportes jedoch auch noch die Augen verbunden und
ein Spuckschutz angelegt.
Die aktuellen Haftbedingungen sind außerordentlich streng: Die ersten zwei Wochen wurde er in
einer Sitzwachenzelle untergebracht, in der 24/7 das Gefängnispersonal durch eine Scheibe
hindurch beobachtet. Danach erfolgte die Verlegung in einen besonders gesicherten Haftraum. Bei
jedem Verlassen des Haftraums wurden ihm Hand- und Fußfesseln angelegt und er wurde von
mindestens drei Beamten begleitet. Gleiches galt auch für den Sonderhofgang, der täglich getrennt
von anderen Gefangenen statt fand. Nach sechs Wochen wurde ihm der erste Aufschluss für täglich
30 Minuten gewährt, allerdings auch dieser ohne Kontakt zu Mitgefangenen. Erst Mitte Februar
wurde ihm seine Privatwäsche ausgehändigt und inzwischen kann er den Hofgang gemeinsam mit
anderen Gefangenen verbringen. Die Besuche finden nach wie vor im Trennscheibenraum statt,
werden vom LKA und der JVA überwacht und der Beschuldigte ist auch während des Besuchs
zusätzlich an Händen und Füßen gefesselt.


Eine weitere Person befindet sich ebenfalls unter besonderen Bedingungen in Haft: Zaid.
Gegen Zaid liegt kein deutscher, jedoch ein ungarischer Haftbefehl vor. Ebenso hat er einen
syrischen und keinen deutschen Pass. Er ist nicht in klassischer Untersuchungshaft, wie andere der
Selbststeller*innen. Sondern in einer Art Auslieferungshaft. Das mag einige bürokratische Vorgänge
in seiner aktuellen Haftsituation einfacher wirken lassen. Doch was ist dies Wert, gegen eine
besondere Gefährdung, als Nicht-Deutscher Staatsbürger?! Aktuell wird über die Auslieferung aller Selbststeller*innen diskutiert. Einzelne Presseartikel verbreiteten jüngst die Fehlmeldung, dass
keine Auslieferungen nach Ungarn mehr statt finden werden. Der Bundesgerichtshof hat sich zwar
klar gegen weitere Auslieferungen von den deutschen Beschuldigten ausgesprochen und auch die
Auslieferung von Maja wurde rückwirkend als rechtswidrig erklärt
(https://www.nd-aktuell.de/artikel/1188964.antifaschismus-budapest-komplex-vielleicht-keine-
auslieferung.html). Dennoch ist die Entscheidung über die juristische Zuständigkeit noch nicht bei
allen abschließend geklärt und es gilt weiterhin zu warten, bis es eindeutig entschieden und
schlussendlich rechtswirksam wird. Sollte Zaid als syrischer Staatsbürger von Deutschland nach
Ungarn ausgeliefert werden, sind auch die Aufenthaltsmöglichkeiten nach der Haft für ihn unklar.
Zaid’s Eltern und Geschwister leben in Deutschland.


Unsere Solidarität muss praktisch sein!


Alle Menschen, die Solidarität für Gejagte des deutschen und ungarischen Staates und Solidarität
für konsequenten, praktischen Antifaschismus empfinden, sollen sich eingeladen fühlen. Lasst eure
Solidarität sichtbar und spürbar werden! Es ist wichtig, große Aufmerksamkeit auf Zaid’s Situation
zu lenken und sich klar gegen eine Auslieferung oder Abschiebung auszusprechen. Die
Auslieferungen müssen verhindert werden! Wir müssen unsere Mitmenschen sensibilisieren für die
Repression, die über die Beschuldigten hinaus, auch ihre Familien und Umfelder betreffen. Werden
wir kreativ und tragen wir unseren Protest und unseren Widerstand in verschiedensten Arten auf die
Straße. Lasst uns über laute Besuche und Kundgebungen an Knästen den Gefangenen zeigen, dass
sie nicht allein sind; informieren wir uns über aktuelles Geschehen in den Gerichtsverfahren in
Ungarn und Deutschland und lasst uns Schulter an Schulter stehen. Wir
gemeinsam gegen ihre Repression!